Philosophie
Möbel entstehen heute in der Regel unabhängig vom Ort, an dem sie zu stehen kommen. Entwurf und Kontext stammen aus zwei Paralleluniversen, die sich selten berühren. Während es früher üblich war, einem bestimmten Raum Möbelstücke gleichsam auf den «Leib» zu zimmern, verschwand diese Praxis im Zuge der Industrialisierung und der Massenproduktion weitgehend. Die Grundidee hinter der Standardisierung war eine demokratische, führte aber zugleich zu einer Abwertung von Design als Massenkonsumgut. Oder je nach Blickwinkel zu einer Aufwertung. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Wert zu definieren. Allerdings sind wir heute an einem Punkt angelangt, der Fragen aufwirft zu unserem Umgang mit Ressourcen. Und das bedeutet auch, Fragen zu stellen zu Produktion und Konsum von Waren. Das hiesse zugleich, Materie an sich neu zu verstehen. Als etwas nämlich, das durchaus eine eigene Wirkmächtigkeit hat. Dinge sind eben nicht einfach passive Objekte. Solche grundlegenden Fragen zum Wert von Gegenständen sind auch in der Arbeit von Lukas Willen zu erkennen.
Wenn handwerklich gefertigte Objekte mit ihrer Umgebung interagieren – und das tun sie im Fall von Willens Entwürfen auch auf einer rein materiellen Ebene –, dann entstehen aus der Begegnung zwischen Form und Materie neue Bezüge. Die Dinge beginnen gleichsam zu sprechen. Die Geschichte eines Materials wird mit der Geschichte des Ortes verflochten. Oder diejenige des Gestalters mit der Geschichte menschlicher Gestaltung und Kunst als solcher. Der altgriechische Begriff für Handwerker war «Demiurg» und bezeichnete einen Schöpfergott. Dieser Terminus erfuhr in der Geschichte der abendländischen Philosophie eine sukzessive Abwertung. Geist kommt in unserer Kultur vor Materie, der Kopf steht über der Hand. Materie zerfällt, eine Idee bleibt. An diesen Vorstellungen hat sich bis heute nicht viel geändert. So kam der Demiurg zu einem zweifelhaften Ruf als Gestalt, die eine mangelhafte Welt gestaltet und in ihre Materie eingreift. Dazu später mehr.
Als regelrechtes Antidot gegen diese reduzierende Sicht auf das Erschaffen von materiellen Artefakten wirkt ein Gang durch das Grosse Haus in Oberbüren. Als Besucherin begegnet man Vertrautem und betritt zugleich unbekanntes Terrain. Die Möbelstücke von Lukas Willen sind wundersame Unikate, die dem Genius Loci der Räume und der Interaktion mit ihren Bewohner*innen entspringen. Lukas und Margret Willen erwarben das stattliche Haus, das 1807 erbaut wurde, im Jahr 2008 und leben seither darin. Der gelernte Möbelschreiner hatte schon in den 1990er-Jahren Möbel entworfen. Bei seinen frühen Entwürfen für Atelier Alinea stand Skalierbarkeit, also der Aspekt der industriellen Produktion, im Vordergrund. Mit dem Umzug in das herrschaftliche Wohnhaus stellte sich die Frage nach der Einrichtung der Räume, die Willen seit dem Erwerb dieses havarierten Prunkstücks eigenhändig und mit grosser Leidenschaft in seiner Freizeit restauriert.
Zunächst ging es um ganz praktische Gegenstände, um Dinge eben, die man dringend braucht, wenn man sich heimisch einrichtet. Willen fertigte für die Küche Einbauten und Schränke an und für den Keller Regale zur Aufbewahrung von Eingemachtem und Flaschen. Aber schon bei diesem banalen Mobiliar – und das ist nicht abwertend gemeint – wird klar: Da war jemand am Werk, der mit den Händen denkt. Der angetrieben ist durch den Wunsch Schönes, Gutes und Langlebiges zu gestalten. Überhaupt ist die Leidenschaft für schöne Dinge ein Art Lebenselixier für den Gestalter und Sammler. Nach diesen ersten Stücken begann Willen, die Räume mit weiteren Möbeln zu «bevölkern», wie er sagt. Modernes Design passte seiner Ansicht nach nicht in die historischen Gemäuer. Antikes aber auch wieder nicht. Und mit halben Sachen gibt sich der passionierte Design- und Kunstconnaisseur nicht zufrieden. Es lag für ihn deswegen nahe mit den Abfällen und Resten des Umbaus, eigene Möbel herzustellen. Das Wort «bevölkern» legt dabei eine interessante Spur. Denn etwas Eigentümliches fällt beim Anblick dieser Möbel-Objekte auf: Dass sie gleichsam zwei Gesichter haben, zwei unterschiedliche Lesarten erlauben.
Die Möbel scheinen zum Haus zu gehören und haben gleichzeitig eine ganz eigene Präsenz. Wobei Präsenz wörtlich gemeint ist. Bei aller formalen Unaufgeregtheit, spürt man darin etwas Lebendiges. Die Zeitschichten, die in den Möbeln dialogisch zutage treten, verschränken sich zu einer vibrierenden Gegenwart. Die Kategorien Alt und Neu fallen wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Während bei der äusseren Gestalt der Stücke auch Anleihen bei historischen oder modernen Vorbildern auszumachen sind, entpuppen sich einzelne Bestandteile wie etwa die Beschläge als zunächst artenfremde – um einen Begriff aus der Biologie zu verwenden – Elemente. Abenteuerliche Tierköpfe oder pflanzlich anmutende Formen aus Silber dienen als Schubladenknaufe oder Scharniere. Genau solche eher unauffälligen, aber geheimnisvollen Details machen Lukas Willens Entwürfe zu Objekten, die das rein Funktionale übersteigen. Sie sind eigenständige Kreationen, die aus einem freien Umgang mit der Materie und ihren Eigenschaften entstehen. Dazu gehört natürlich auch ein immenses Know-how, denn zu verstehen, wie sich Werkstoffe verhalten, bedarf langjähriger Erfahrung.
Design um des Designs willen interessiert den Schreiner nicht, vielmehr bilden etwa Architektur oder Kunst Inspirationsquellen für seine Arbeiten. Auch das Resultat als solches steht nicht im Vordergrund, Lukas Willen will in erster Linie Dinge ausprobieren. Falls es nichts werde, komme das Material ins Feuer, sagt er. Diese Aussage ist gleichzeitig Ausdruck der Bescheidenheit wie auch der Hingabe, welche die Haltung des Gestalters prägen. Sie erinnert etwa an Richard Sennetts Bemerkungen in seinem Buch «Handwerk», wo dieser an einer Stelle ausführt, wie der Handwerker eins werde mit dem Ding, an dem er arbeite.[1] Wer bis zu fünfhundert Stunden an einem Möbelstück werkt, muss beseelt sein von einer kreativen Kraft, die über das pragmatische Anfertigen von Gebrauchsgegenständen hinausgeht. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass in diesen Stücken der Gegensatz zwischen Natur und Artefakt – diese tief in unserer Denkweise verankerten Dichotomie – aufgehoben wird. Denn der Akt des Machens ist nicht lediglich als Kontrolle über die Materie zu verstehen, sondern als Zulassen ihrer Wirkmächtigkeit. Es geht also hier nicht per se um Schöpfung als Ergebnis eines Subjekts, wie wir das aus der Geschichte des abendländischen Denkens und der so genannt modernen Kultur kennen.
Der französische Anthropologe Philippe Descola beschreibt in seinem Buch «Die Ökologie der Anderen», wie verschieden Handwerk in anderen Kulturkreisen verstanden wird. Dort sei die Welt nicht das Produkt des Eingreifens eines Demiurgen, sondern das Resultat ihrer inneren Neigungen, die sich in einem Transformationsfluss entfalten[2]. Die Balance oder Harmonie, die Willen in seinen Stücken anstrebt, stellt sich unter anderem dadurch ein, dass er dem Material genug Raum lässt und es zugleich in ein ganz neues Licht rückt. Die Aussagekraft und Ausstrahlung der Objekte entsteht durch ihre unmittelbare und materielle Einbettung in den Ort, ohne sich diesem anzubiedern. Sie lassen an das Paradox denken, das wir beim Berühren unserer eigenen Hände erleben. Wir wissen, dass diese zu unserem Körper gehören, spüren aber zugleich, dass sie etwas Fremdes sind. Denn auch wir sind nichts anderes als ein multiples Gefüge von unterschiedlichen chemischen Elementen, Materialien und Lebewesen. Öffnen wir uns für diese Sichtweise auf Materialität, kann daraus ein neuer Blick auf materielle Artfakte sowie auf die Verstrickungen zwischen Menschlichem und Nichtmenschlichem heranreifen.
[1] Richard Sennett, Handwerk, Berlin 2008, S. 234
[2] Philippe Descola, Die Ökologie der Anderen, Berlin 2014, S. 119